Café Glocke nimmt Stellung!
Seit November 2023 ist es beschlossene Sache – der reduzierte Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie läuft aus und steigt wieder auf 19%.
Wir müssen mal Klartext sprechen über das Ende der vergünstigten Mehrwertsteuer in der Gastronomiebranche. Wir hatten gehofft, dass die Bestimmungen befristet um ein weiteres Jahr verlängert werden.
Kurz zum Hintergrund: Im Zuge der Corona-Pandemie wurde die MwSt. in der Gastronomie von 19% auf 7% herabgesetzt. So sollten die starken Belastungen während der Pandemie abgefedert und gastronomische Betriebe vor der Schließung bewahrt werden. Parallel begannen aufgrund des Überfalls auf die Ukraine zusätzlich noch die Energiekosten zu explodieren, also wurde diese Maßnahme über die heiße Phase der Pandemie bis zum 31.12.2023 hinaus verlängert.
Seitdem haben sich die Rahmenbedingungen jedoch noch weiter zugespitzt. Neben den Energiepreise stiegen auch die Preise für Dienstleistungen, Lebensmittel, Waren, Zinsen, Miete… Die Umstände führten zu der höchsten Inflation seit 40 Jahren! Achso, seit 2020 ist der Mindestlohn übrigens auch von 9,35 € auf 12 € im Jahr 2023 gestiegen. Zum Jahreswechsel 2024 gab es eine weitere Erhöhung auf 12,41€. Das macht einen Anstieg von 32,7 Prozent. Das mit dem Mindestlohn finden wir ja auch richtig und wichtig, nur kommt das ebenfalls noch hinzu. Was wir damit aufzeigen wollen ist, dass wirklich alle relevanten Bereiche der Gastronomiebranche erheblich gestiegen sind. Diese Umstände zehren unglaublich an den Betreiber*innen und die Krise fühlt sich mittlerweile nicht mehr nach einem 100m-Sprint an, sondern wie ein Marathon ohne Ziel in Sichtweite.
Übrigens, Covid hält sich hartnäckig und hat im letzten Quartal, zusammen mit weiteren Erkrankungen, für eine regelrechte Welle an Ausfällen gesorgt. Reservierungen oder sogar fest geplante Einmietungen wurden kurzfristig linksliegengelassen und der ersehnte Umsatz? Nun ja, der blieb dementsprechend irgendwo auf der Strecke liegen. Unser Team hat wirklich alles gegeben und wir wurden selbst nicht von der Krankheitswelle verschont, was zu einer erheblichen Belastung der noch übriggebliebenen führte. Das hatte zur Folge, dass wir unser Café auch mal früher schließen mussten oder es ab Mittags die Küche nicht mehr besetzt war. Unternehmerisch müssen wir nicht nur mit Krankheitsgeld jonglieren, sondern auch die Kosten für das Personal stemmen, das die Lücken füllt. Und wenn dann auch noch die Gäste fernbleiben, fühlt es sich an, als würde man versuchen, Wasser mit einem Sieb aufzufangen. Das kann dann sehr schnell ein erhebliches Loch in der Kasse verursachen.
Also, nur um das vorweg klarzustellen: Wir sind dagegen, den ermäßigten Steuersatz in der Gastronomiebranche dauerhaft beizubehalten! Das mag dich jetzt vielleicht überraschen, jedoch finden wir, dass der ermäßigte Steuersatz im eigentlichen Sinne für Lebensmittel gelten sollte, die unsere Grundbedürfnisse erfüllen. Nicht jedoch für gastronomische Erlebnisse. Am besten noch mit so nem Michelin Stern, ja klar, schön den privilegierten Menschen, die sich so etwas leisten können, auch noch steuerlich Vorteile beim Ausgehen bieten. Sorry, dies erscheint uns doch übers Ziel hinausgeschossen und nicht im Sinne eines gerechten Sozialstaats.
Bezüglich der Debatte um 7% oder 19% finden wir, dass das ein ein bisschen dem Herumdoktern an Symptomen, anstatt einer ganzheitlichen Untersuchung gleicht. Denn das Steuersystem ist so unglaublich altmodisch. Wir finden, es ist allerhöchste Eisenbahn für eine umfassende Überarbeitung dieses Systems, da viele aktuelle Praktiken nicht mehr dem eigentlichen Grundgedanken entsprechen. Deshalb hätten wir uns eine einjährige Verlängerung gewünscht, in der parallel dem Steuersystem auf den Grund gegangen wird! Einen Einblick, welche Skurrilitäten sich mittlerweile im Steuersystem verstecken und welche neu Ausrichtung wir uns wünschen, haben wir in der Broschüre “Dumm aus Prinzip” am Beispiel der steuerlichen Begutachtung von Kuh- und Hafermilch aufgeführt. (Originaltext von SUEDHANG Tübingen – DANKE).
Mit ein paar Änderungen des Steuersystems könnte man ganz nebenbei übrigens auch noch das Klima schützen. Wusstest du zum Beispiel, dass das System einen Imbissstand quasi zum Nutzen von Einwegverpackungen zwingt? Denn wird das Essen in Einwegverpackungen verkauft, muss nur 7% MwSt. abgeführt werden, weil das Essen dann als steuerbegünstigtes Grundnahrungsmittel gilt. Solltest du das Essen auf einem richtigen Teller serviert bekommen, welchen du im Anschluss wieder zurückgibst, müssen 19% MwSt abgeführt werden. Warum? Na weil, wenn du den Teller dann wieder zurückgibst und dieser dann für dich gespült wird, wird daraus eine Dienstleistung und für eine Dienstleistung sind nun mal 19% abzuführen. Ja, klimafreundlich könnte manchmal so einfach sein.
Jetzt aber mal zum eigentlichen Thema: Die Rückkehr zu 19% Mehrwertsteuer.
Viele bekamen Schnappatmung, wenn sie die Entwicklung der Preise der letzten Jahre anhand eines Döners gesehen haben. Denn spätestens beim Döner hört für viele Menschen der Spaß auf! Deshalb kam es schon zu Forderungen einer „Dönerpreisbremse“. Die Bundesregierung sah sich gezwungen, eine Kampagne zu starten, um die Gründe für die Preissteigerung beim Döner zu erläutern. Die meisten Gastronomiebetreiber*innen, wie wir auch, haben nur anteilig die gestiegenen Kosten weitergegeben, damit die eigentliche Preissteigerung die Gäste nicht komplett abschreckt. Das ging natürlich auf Kosten der Margen und Rücklagen der Betreiber*innen, sofern sie überhaupt welche hatten. Die letzten Jahre haben die letzten Reserven von Betreiber*innen gekostet und führten dazu, dass die Branche keinerlei Spielräume mehr hat. Die physische wie auch psychische Belastung mal ganz außen vor.
Also, die letzten Jahre haben unglaublich gezehrt, und die Umstände haben bereits vor der MwSt.-Erhöhung zu einer Kostenerhöhung von 35% seit 2021 geführt. Und jetzt? Jetzt kommt noch einmal die Mehrwertsteuer-Keule, welche eine weitere Preissteigerung von 12% bedeutet, obendrauf. Diese Steigerung müssen wir an unsere Gäste weitergeben. Da kommen uns selbst die Tränen, wenn wir die neuen Preise sehen. Die Krisen haben natürlich auch unsere Gäste getroffen – aufgrund der Inflation verliert die Währung an Wert, da die Gehälter im Durchschnitt nicht annähernd so stark gestiegen sind wie die Inflationsrate. Der inflationsbereinigte Umsatz im Gastgewerbe lag im vergangenen Jahr immer noch über 10%¹ unter dem Niveau vor der Corona-Pandemie. Die Bundesregierung begründet den jetzigen Schritt mit den vermeintlichen Steuermehreinnahmen von 3,5 Mrd Euro. Inwiefern die Zahl unter Berücksichtigung einer rückgängigen Nachfrage aufgrund steigender Preise & Schließungen von Gastgewerbe und deren sozial- gesellschaftlichen Folgen realistisch ist, bleibt sehr fraglich. Wir finden das unterm Strich einfach zu kurz gedacht und sehen den langfristig entstehenden Schaden weitaus höher.
Wir empfinden, dass die Rückkehr zur 19% Mehrwertsteuer zum jetzigen Zeitpunkt besonders Cafés und Restaurants, die sich für qualitative Lebensmittel, faire Arbeitsbedingungen, nachhaltigen Konsum und guten Service einsetzen, betrifft. Vor allem also die Kleinen, oftmals von Inhaber*innen oder Familien betriebene Gastronomien.
Wir sind überzeugt, dass die MwSt.-Erhöhung während der anhaltenden Krise die Gastronomiebranche tiefgreifend und langfristig verändern wird. Die erheblich höheren Preise führen zu einer spürbaren Verschiebung in der Wahrnehmung und Zugänglichkeit des Angebotes. Traditionelle Konzepte der Gastfreundschaft und der kulinarischen Vielfalt müssen zwangsläufig in Frage gestellt werden. Hier noch ein paar konkrete Folgen, die wir derzeit auf uns zukommen sehen:
Bargeld adé:
Die konkreten Gründe für eine Abschaffung einer Bargeldkasse sind vielfältig. Das Führen einer korrekten Bargeldkasse erweist sich als zeitaufwendig und birgt nicht zu unterschätzende Risiken. Täglich muss eine akkurate Abrechnung erstellt und ein penibel geführtes Kassenbuch gepflegt werden. Der tägliche Aufwand für die Abrechnung der Bareinnahmen beträgt bei uns allein etwa 30 Minuten, hinzu kommen regelmäßige Bankbesuche, denn das Konto will stets gedeckt sein. Die Bargeldflüsse müssen akribisch dokumentiert und in der Buchhaltung abgebildet werden – ein Prozess, der nicht nur viel Raum für Fehler lässt, sondern auch häufig Anlass für eine tiefere Betriebsprüfung ist.
Das alles ist also mit einem erheblichen Zeitaufwand und dementsprechend mit Kosten verbunden. Angesichts des Drucks, Kosten zu minimieren, und der Tatsache, dass der Großteil der Einnahmen bereits in bargeldloser Form generiert wird, stellt sich zwangsläufig die Überlegung, ob der Aufwand und die damit verbundenen Kosten sowie Risiken im Verhältnis zum Nutzen stehen.
Okay, auch wenn wir die Zahlung mit Bargeld privat sehr schätzen und es für problematisch halten, wenn jede noch so kleine Transaktion digital nachvollziehbar gemacht werden kann, wäre dies für uns noch das geringste Übel.
Zwang zur unendlichen Effizienzsteigerung:
Unsere Überzeugung ist, dass wir mit Lieferanten zusammenarbeiten, die Wert auf Qualität, Regionalität und Nachhaltigkeit ihrer Produkte legen. Die viele Arbeit, die darin steckt mit regionalen kleinen Produzent*innen zu kommunizieren, hat natürlich ihren Preis und unterliegt auch großen Schwankungen bei den Verfügbarkeiten der Lebensmittel. Wir müssen stets flexibel bleiben, und beispielsweise wenn der Salatanbau wetterbedingt ausfällt, weil die Landwirte in der Region ihre überschwemmten Felder nicht mehr betreten können, spontan Alternativen finden, die nicht von weit her importiert werden müssen. Natürlich gibt es günstigere und stabilere Alternativen auf dem Markt der Zulieferer, aber hier sucht man vergeblich nach regionalen Angeboten abseits der Massenware.
Qualität hat ihren Preis. Die Betriebe, die bei der Qualität der Lebensmittel sparen, können entsprechend niedrigere Preise anbieten. Die Nachfrage nach ausbeuterischen Anbaumethoden und Monokulturen wird damit noch mehr erhöht. Das hätte auch zur Folge, dass die Preisschere zu nachhaltigem und fairem Konsum in der Gastronomie noch größer wird. Aber hey, gut dass gerade erst die Zulassung von Glyphosat für weitere 10 Jahre genehmigt wurde – yeah!
Sparmodus bei Personal und Servicequalität:
Ein weiterer großer Kostenpunkt sind natürlich die Gehälter unseres großen Teams, besonders, weil wir euch gerne die Annehmlichkeiten eines vollen Service bieten möchten. Wir finden, von einem Vollzeitjob sollte man leben können! Wenn man ganz ehrlich ist, ist das schon jetzt nicht leicht, trotz der verrückten Arbeitszeiten und dem vielen Stress. Du musst diesen Job schon bekloppt doll lieben, anders ist das nicht gut auszuhalten. Den Druck Personalkosten noch weiter zu senken, führt also unweigerlich zu Serviceeinbußen, einschließlich längerer Wartezeiten und reduzierter Servicequalität. U.a. Self-Ordering- und Self-Payment-Systeme würden persönliche Begegnungen und individuellen Service ablösen.
Weniger Bio-Zertifizierungen in der Gastronomie:
Es erscheint absurd, dass gastronomische Betriebe, die sich dazu entschließen, sich zu biozertifizieren und somit bewusst auf ausbeuterische Anbaumethoden und ähnliche Praktiken zu verzichten, zusätzlich noch die finanzielle Last der Zertifizierung tragen müssen. Mit etwa 2.000 Euro und zusätzlichen Aufwand pro Jahr belaufen sich diese Kosten auf eine erhebliche Summe, die zwangsläufig zusätzlich auf die Gäste umgelegt werden muss. Anstatt die Bemühungen um nachhaltige und ethische Praktiken zu unterstützen, werden diejenigen, die den Weg zu ökologischer Verantwortung einschlagen, mit zusätzlichen finanziellen Belastungen konfrontiert. Es wäre sinnvoller, wenn der Staat solche Initiativen eher fördern würde, anstatt sie finanziell zu belasten. Die Unterstützung von Bio-Zertifizierungen sollte als Investition in eine nachhaltigere und umweltfreundlichere Zukunft betrachtet werden, anstatt als finanzielle Hürde, die überwunden werden muss.
Zwang, Essen zum Liefern anzubieten, um vom günstigeren MwSt.-Satz zu profitieren:
Da stehen wir nun als Café-Besitzer*innen, zwischen der Versuchung, von der reduzierten Mehrwertsteuer für Lieferdienste Gebrauch zu machen. Die Versuchung ist groß, bedenkt man, dass Essen außer Haus mit nur 7% Mehrwertsteuersatz versteuert wird und dadurch erschwinglichere Preise oder höhere Margen möglich sind.
Dennoch sollten wir innehalten und uns nicht von der dunklen Seite der Geschäftswelt verführen lassen. Lieferdienste, die großzügig mit Rabatten um sich werfen, sind oft moralisch fragwürdig, besonders in punkto Arbeitsbedingungen. Es fühlt sich an, als würde man einen Pakt mit dem Teufel eingehen – ja, mehr Bestellungen, aber zu welchem Preis?
Es ist ein bisschen wie eine zwanghafte Beziehung – man muss es tun, um mithalten zu können. Manchmal wünschen wir uns, es wäre so einfach wie in einem Videospiel: „Drücke A, um zu überleben.“ Doch im echten Leben ist es eher wie „Drücke A, um deine Existenz zu sichern, aber sei bereit, Kompromisse einzugehen.“
Natürlich muss das nicht alles sein. Wer weiterhin Service und vielfältige, hausgemachte Produkte genießen will, muss dafür halt zahlen. Jedoch einen weitaus größeren Aufpreis, als das bislang das der Fall war. Wer sich das leisten kann und will, sei mal dahingestellt. Ob die Nachfrage dann zum Betreiben eines Cafés wie unserem Café Glocke ausreicht, ist derzeit fraglich.
Wer profitiert mal wieder von diesem Zustand? Richtig, die großen Player, die ganzen Franchisesysteme & Großhandel, die mit ihren Konzernstrukturen, ihrer (steuerlichen)-Systematisierung und Skalierung ganz andere Margen erzielen können. Transparenz? Bei Unternehmen, bei denen Bio eher als Marketinginstrument gesehen wird, fraglich. Das geht unterm Strich dann halt auf Kosten der Umwelt und der gastronomischen Vielfalt. Ist ja nicht jetzt schon so, dass bereits sechs von neun „planetaren Grenzen“ überschritten sind und wir den jährlichen Earth Overshoot Day (Tag an dem die Menschheit alle natürlichen Ressourcen, die die Erde innerhalb eines Jahres zur Verfügung stellen kann, aufgebraucht hat) bereits im August „feiern”.
Und das, wo doch diese Vielfalt und Umsichtigkeit unsere schöne Neustadt zu dem macht, was sie ist! Aber hey, irgendwie wird das Schauspiel schon weitergehen. Ist es ja bisher auch immer, oder? Wir sind uns ziemlich sicher, dass die Anpassung die Branche so krass verändern wird, dass es nicht mal der Kaffeesatz vorhersehen konnte. Das Bild wird ein anderes sein, wenn die Vielfalt verschwindet, wird alles grau.
In unserem Café Glocke bleiben wir unseren Grundprinzipien treu. Aber auch wir müssen drastische Schritte gehen, damit wir überhaupt eine Chance haben. Was das bedeutet, wissen wir noch nicht, jedoch könnt ihr euch auf eins verlassen:
Bevor wir konventionelle Lebensmittel aus der Massenproduktion anbieten oder mit Lieferando flirten, machen wir den Laden lieber dicht!
Keep it real, Leute!
2 Kommentare.
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[…] auf wieder 19%. Ein turbulente Achterbahnfahrt, die wir ausführlich in unserem Blogartikel „Rückkehr zum 19% Mehrwertsteuersatz – Café Glocke nimmt Stellung!“ beleuchtet […]