Dumm aus Prinzip

WIR FORDERN: AUCH HAFERMILCH 7% MWST.

Abbildung zur Aufklärung der MwSt. Unterscheidung zwischen Kuhmilch mit 7% und pflanzlicher Alternativen mit 19%

Auch wenn es unternehmerisch dumm ist – wir berechnen keinen Aufpreis für die Kuhmilch-Alternative. Denn eigentlich wird man unternehmerisch zum Aufpreis für Kuhmilch-Alternativen gezwungen. Hier erklären wir dir, wieso das so ist.

Originaltext von SUEDHANG Café

Du legst 3,90€ auf den Tresen und erhältst dafür einen Cappuccino. Zum Mitnehmen. Es sind jedoch nicht 3,90€, mit denen Kosten für Einkäufe, Personal, Miete, Strom etc. gedeckt werden.

Zuallererst bekommt der Staat was ab: Umsatzsteuer. Im alltäglichen Sprachgebrauch auch Mehrwertsteuer genannt. Nur wie viel genau bekommt der Staat von den 3,90€? Nun – es kommt darauf an. Zur Auswahl stehen 19% oder 7%.

Warum das denn?

Theoretisch deswegen:

Das deutsche Umsatzsteuergesetz sieht derzeit zwei Steuersätze vor, nämlich einen Regelsteuersatz und einen ermäßigten Steuersatz. Der Regelsteuersatz von 19% gilt grundsätzlich für jeden steuerpflichtigen Umsatz. Allerdings versucht der Gesetzgeber, verschiedene sozial-, gesundheits-, kultur-, umwelt- und wirtschaftspolitische Zwecke zu fördern. Er sieht daher für zahlreiche Tatbestände einen ermäßigten Steuersatz von 7% vor.¹

In der Praxis ist das eine komplizierte Angelegenheit. Es geht dabei um viel. Ob 7% oder 19% MwSt macht einen großen Unterschied. Genau genommen 12%. Vom Umsatz, nicht vom Gewinn.

Hier ein kleiner Exkurs zum Umsatzsteuergesetz (UStG), § 12 und Anlage 2 (zu § 12 Absatz 2 Nummer 1, 2, 12, 13 und 14). Weil’s lustig, skurril ist. Spoiler: Es ist nicht nur skurril. Es ist im Hinblick auf Klimaschutz, Umwelt und Tierwohl auch recht traurig. Aber wir starten mit lustig und skurril.

Davor noch für alle, die es nicht wissen, ein Biologie-Exkurs in die Familie der Equidae. Ein Pferd ist ein Pferd. Ein Esel ist ein Esel. Ein Maultier hat als Mama ein Pferd und als Papa einen Esel. Und ein Maulesel entstand aus dem Liebesakt eines Pferdehengstes und einer Eselstute. Ende Bio-Exkurs.

Jetzt zum UStG-Exkurs.

Mal angenommen, wir verkaufen keinen Cappuccino. Sondern – ähm – sagen wir, einen echten Esel für 3,90€. Wie viel bekommt der Staat per Umsatzsteuer?

Die Antwort ist: 19%.

Also 0,62€. Und wenn wir einen Maulesel oder ein Maultier verkaufen? Dann sind es 7%. Also nur 0,26€. Also 0,36€ weniger. Häh?! Ja. Häh. That’s the law. Also, wenn Papa und Mama ein Esel waren, sind es 19%. Wenn aber ein Elternteil ein Pferd und das andere ein Esel war, dann sind es 7%. Und damit das klar ist: Sind Mama und Papa beide Pferde, dann sind es 19%. Aber nur, wenn sie leben. Wenn aber Esel, Pferd, Maulesel oder Maultier tot sind, dann sind es 7%. Krabben haben auch 7%, Langusten jedoch 19%. Und zwar unabhängig, ob tot oder lebendig. Ja. Obacht bei der Umsatzsteuer! Da muss man höllisch aufpassen. Nicht nur bei Tieren. Auch bei Kartoffeln. Die haben 7%. Und Süßkartoffeln? 19%. Willst du mehr? Fruchtsalat 7%. Fruchtsaft 19%. Fruchtsmoothies? Oh. Das ist kompliziert. Das ist eines der großen Probleme des 21. Jahrhunderts. Wenn ein Smoothie eher ein Obstsalat ist, dann sind es 7%. Weil eben ein Lebensmittel. Dann konsumiert man den Smoothie nicht zum Spaß. Dann konsumiert man fürs Leben. Aber: Wenn das eher ein Obstsaft ist, dann sind es 19%. Weil: Wenn du Durst hast, dann trink bitte Wasser. Wenn du aber einen Obstsaft trinken willst – gerne – aber dann ist das eben kein echtes Lebensmittel. Dann auch der Smoothie 19%. Denn dann trinkst du nicht fürs Leben. Sondern weil du eine Hedonistin bist. Oder ein Hedonist. Bist du nicht? Willst aber noch mehr über das Umsatzsteuergesetz wissen? Etwa aus Spaß? Gerne: Orthopädische Krücken: 7%. Aber – und das ist wichtig: Wenn du bei der Krücke unten das Gummidingens austauschen musst, weil du die Krücke viel nutzt und das Gummidingens abgelaufen ist, dann sind es mitnichten 7% Umsatzsteuer für das Gummidingens. Das wäre ja was! Es sind 19%. Das ganze Zeugs und noch viel mehr steht im Gesetz. Genau da: Umsatzsteuergesetz (UStG), Anlage 2 (zu § 12 Absatz 2 Nummer 1, 2, 12, 13 und 14). Das haben die Mädels und Jungs zu verantworten, denen wir mit unserem Kreuz auf einem Zettel alle paar Jahre zu einem Sitzplatz im Bundestag verhelfen.

Was machen die da in Berlin
eigentlich?

Im Jahr 1976 wurde die Unterscheidung zwischen Regelsteuersatz und reduziertem Umsatzsteuersatz konzipiert. Die Idee war: Lebensmittel sollen für alle verfügbar sein. Dann wurde viel herumgedoktert. Beispielsweise im Jahr 2006, im Kabinett Merkel I, Große Koalition, kam es zu einer großen Änderung der Anlage 2. Zu Recht entschied der Deutsche Bundestag: Austern unterliegen ab sofort nicht mehr dem reduzierten Mehrwertsteuersatz. Perlhühner aber ab sofort 7%. Ein Ruck ging durchs Land. Nach weiteren kleineren Änderungen war es dann endlich so weit: Im Jahr 2012, im schwarz-gelben Kabinett Merkel II, wurden die Pferde aus Anlage 2 gestrichen. Wurde auch Zeit. Ab dann unterlagen zwar bayerische Maulesel, aber eben kein ostpreußisches Warmblut dem reduzierten Mehrwertsteuersatz von 7%.

Die ganze Gesetzgebung ist so wirr ausgewachsen, dass zahlreiche Gerichtsverfahren anhängig sind und waren und das Bundesministerium der Finanzen mehrfach den juristischen Sachverhalt ausbuchstabieren musste.

Dabei könnte es auch einfacher und gerechter gehen. Im Koalitionsvertrag zwischen der FDP und der CDU (2009) wurde ein großer Wurf beschlossen. Die Frage, was dem reduzierten und dem nicht reduzierten Mehrwertsteuersatz unterliegt, sollte auf die heutige Zeit angepasst und vereinfacht werden. Das vom BMF in Auftrag gegebene, 460 Seiten dicke Gutachten „Analyse und Bewertung der Strukturen von Regel- und ermäßigten Sätzen bei der Umsatzbesteuerung unter sozial-, wirtschafts-, steuer- und haushaltspolitischen Gesichtspunkten“ machte – etwas verkürzt dargestellt – einen einfachen Vorschlag: Lebensmittel 7%. Alles andere Regelsteuersatz. Anlage 2 und andere Auswüchse könnten gestrichen werden.

Aber daraus wurde nichts. Zlatan (Name geändert, möchte anonym bleiben) war 2009 federführend mit dabei bei dem Versuch einer Neugestaltung. Aber wie gesagt, obwohl es im Koalitionsvertrag stand, wurde nichts draus. Zlatans Einschätzung: Die Lobby habe gute Arbeit geleistet und eine Neugestaltung verhindert. Man möge einen Blick auf § 12 und die Anlage 2 werfen. Das ist alles sehr Lobby-lastig. Die Logik „nur Lebensmittel mit 7%“ hätte sogar Steuermehreinnahmen von 9 Mrd. Euro zur Folge gehabt. Diese Mehreinnahmen aber zuungunsten einer sehr starken Lobby. Da entschied man sich also: Lieber keine 9 Mrd. Euro mehr Steuern, dafür aber auch kein Stress mit der Lobby. So Zlatan. 

Exkurs über eine aktuelle Ideen Zlatans. Zlatan erzählte mir auch, die wohl beste Idee wäre: Alles 19%. Fertig. Dann ist alles klar und es gibt auch keine unnötigen Gerichtsverfahren. Dann muss aber die Bevölkerung mit höheren Endpreisen rechnen. Daher sollte man zum Ausgleich jedem Bürger und jeder Bürgerin eine Kopfpauschale zukommen lassen. So was wie ein Mini-Grundeinkommen. Für Lebensmittel. Und das so justieren, dass es am Ende für den Staat ein Nullsummenspiel ist.

Das Problem ist nur: Wie kann man allen Bürger*innen eine Kopfpauschale zukommen lassen? 

Bargeld oder Schecks verschicken geht nicht so einfach. Seine Idee ist: Über die Krankenversicherungen. Jede und jeder hat eine Krankenversicherung. Die Beiträge könnten für jede und jeden um eine Pauschale verringert werden. Und die Krankenversicherungen bekommen diese Pauschale vom Staat erstattet. Das wäre dann das Ende zweier Mehrwertsteuersätze. Und das Ende unzähliger Probleme und Gerichtsverfahren. Und das ist das Ende des Exkurs’ über Zlatans Idee.

Aber nicht das Ende unseres Themas. Also Fokus bitte! Ein Cappuccino mit Kuhmilch zum Mitnehmen: 7%. Ein Cappuccino mit Hafermilch zum Mitnehmen: 19%. Präzise: Wenn mehr als 75% Milch – das heißt: Gemelk tierischen Ursprungs – drin ist, sind es 7%. Sonst 19%. Da kann die Hafer-, Soja-, Mandel-oder Wasauchimmer-Milch heulen, wie sie will. 19%.

Sprachpolizei-Exkurs: Übrigens darf dieses Zeugs gar nicht Milch heißen. Milch ist per Gesetzgeber ein Gemelk tierischen Ursprungs. Basta. Du kannst zur Hafermilch zwar Hafermilch sagen. Ist aber illegal. Wir sind so furchtlos und kriminell, dass wir hier und überhaupt Hafermilch als Hafermilch bezeichnen. Bin gespannt, ob wir da eines auf den Deckel bekommen und das ein juristischen Nachspiel haben wird. Egal. Und wer hat initiiert, dass man Hafermilch nicht Hafermilch nennen darf? Ende des Exkurs’ über die Erfolge der Lobbyarbeit.

Haben oder nicht haben?

Zurück zur Umsatzsteuer. Also: Wenn du einen Kuh-Cappuccino für 3,90€ kaufst, dann gehen per Umsatzsteuer 7% an den Staat. Also 0,26€. Mit dem Rest: 3,90€ – 0,26€ = 3,64€, können wir dann unser Personal, die Miete, die verwendeten Waren, den Strom und so weiter zahlen.

Wenn du dir aber einen Hafer-Cappuccino für 3,90€ kaufst, dann gehen per Umsatzsteuer 19% an den Staat. Also 0,62€. Jetzt bleiben nur noch 3,90€ – 0,62€ = 3,28€ übrig. Und hey! Das ist schon ein fetter Unterschied zwischen Kuh und Hafer. Für uns beträgt der Unterschied stolze 0,36€ Netto-Umsatz. Das sind bei drei Getränken mehr als ein Euro!

Nehmen wir an, ein Café verkauft 5000 sogenannte Milchmischgetränke für 3,90€ im Monat. Dann wären das bei dem Kuhmilch-MwSt-Satz von 7% 1.275,70€ MwSt. Bei “wie-Milchmischgetränke-besteuert-werden-wollende-Getränke-mit” Hafermilch mit 19% MwSt-Satz sind es hingegen 3.113,45€.

Also 1.837,75€ mehr – jeden Monat.

Wir freuen uns, dass die Nachfrage nach Hafer seigt, jedoch zwingt uns das aktuelle Umsatzsteuergesetz, dass wir – unternehmerisch betrachtet – eigentlich dieser Entwicklung entgegenarbeiten sollten. Wir sollten die Kuhmilch immer der Haferalternative vorziehen.

Fragen oder nicht fragen?

Naheliegend für uns wäre: Wir verwenden ab sofort keine Hafermilch mehr. Zumindest verstecken wir es und geben sie nur auf explizite Nachfrage raus.

Denn: Wir wären ja schön blöd, wenn wir jede Kundin und jeden Kunden beim Bestellen fragen würden: „Mit Hafer- oder mit Kuhmilch?“. Denn wenn man eigentlich einen Kuh-Cappu wollte und – weil wir so doof fragen – die Person sich dann doch für Hafer entscheidet, dann verliert das Café Glocke direkt 0,36€. Halt 19% anstelle von 7% Umsatzsteuer.

Hier sind wir aber gerne doof. Unsere Anweisung an all unsere Mitarbeiter*innen lautet: Wenn du nicht weißt, was die Kundin oder der Kunde trinken möchte, frag explizit, ob Kuh oder Hafer. Weil’s uns wichtig ist.

Weitergeben oder nicht weitergeben?

Und klar – wir könnten sagen: Unser Preis für Cappuccino ohne Mehrwertsteuer ist 3,64€. Wenn du mit Kuhmilch willst, dann bitte zuzüglich 7% MwSt. Macht 3,90€.

Und mit Hafermilch macht das dann eben auch 3,64€ zuzüglich 19% MwSt. Macht 4,33€.

Machen wir aber nicht!

Auch wenn das viele – ja, sogar die meisten – Cafés so machen:
+ 50 Cent für Hafer.

Bei uns kosten Hafer und Kuh gleich viel. Denn wir wollen unseren Gästen eine echte Wahl geben. Und es ist keine echte Wahl, wenn die Variante mit Hafer teurer ist.

Euer Glocke-Team

Dieser Text stammt aus der Feder von SUEDHANG Café in Tübingen und wurde mit deren Genehmigung angepasst – viele Grüße 🙂

¹ Analyse und Bewertung der Strukturen von Regel- und ermäßigten Sätzen bei der Umsatzbesteuerung unter sozial-, wirtschafts-, steuer- und haushaltspolitischen Gesichtspunkten. Endbericht eines Forschungsgutachtens im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen (BMF), Saarbrücken 2010

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